Silvia Plath ging unter die Haut. Stark präsentierte Marie Ruback „Daddy" - eine Schlussabrechnung mit dem Vater, der bald darauf der Selbstmord der Lyrikerin folgte. Bühnen-Präsenz und Intensität, mit kallgelber Gummi-Perücke. Präziser Ausdruck der offenbarten Emotionen von Plath, in einem ruhigen, heutigen Slam-Rhythmus. Von der ersten Sekunde bis zum Schluss voller Spannung – beeindruckend!
Denise Matthey hatte das Publikum schon gewonnen, als sie „ihre“ tote Dichterin Anne Sexton mit starken Worten vorstellte. "Ich bin Anne Sexton Dichterin, Selbstmörderin, Hausfrau, die Hure von Babylon …." Sextons „Vogel Ehrgeiz“ und dazu leicht verstörende Videoeinspielungen von flatternden Vögeln, die irgendwie immer anzustoßen, abzustürzen schienen. Dazwischen wohlige Worte vom „Kakao, der warmen, braunen Mama“ der die Schlaflosigkeit beruhigen soll und doch nicht kann. „ Die ganze Nacht schlagen dunkle Flügel in meinem Herzen. Jeder ein Vogel Ehrgeiz.“ Starke Lyrik, starke Performance.
Die Fliege kam mit. Enrico Spohn brachte Heinrich Heines „Die Launen der Verliebten“ auf die Bühne, ein Insekten-Gedicht in dem die Fliege von einem Käfer angeschwärmt wird. Fliege und Enrico - es müssen beide genannt werden - wickelten das Publikum flugs um den Finger. Heine höchst vergnüglich (das Wort des Abends übrigens: vergnüglich). Er wurde von seinem Team, den „Toten“, dann auch ins Finale gegen Till Reiners geschickt.
Till Reiners, Stadtmeister von Berlin (2011), überzeugte das Publikum auch in Ingolstadt und heimste die meisten Jury-Punkte ein. Im Finale trat er für die „Lebenden“ gegen Heinrich Heine/Enrico Spohn an. Temporeich, vieldeutig und offensiv - Wut ist Treibstoff! - trug er seine Sprach-, Beziehungs- und Weltuntersuchungen vor, in denen nichts heilig und schon gar nichts gewiss ist – denn nur darum spräche man ja überhaupt miteinander, um sich der gemeinsamen Realität zu vergewissern. Kein Austausch, nur Selbstbezug. Mehr davon und gerne wieder!
Großraumdichten mit Pauline Füg (Eichstätt) und Tobias Heyel (Stuttgart) spannen ein feines Netz zwischen Kapitalismuskritik und … struktureller Selbstgewissheit? Selbstzufriedenheit? Das blieb offen und ließ viel Raum. Feine Wort-Performance mit viel Rhythmus und Musik, zarten Andeutungen, sich überlagernden Bewegungen und Wort-Gefügen, kritischen Anwürfen, die wohl eher die Gegebenheiten meinten als die (nicht)handelnde Personen - hofft man zumindest, selbstzweifelnd.
Charles Bukowskis „Gedichte, die einer schrieb, bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang“ haben Thomas Schrimm inspiriert „Der Große mit dem Säbel“ auszuwählen. Das erwartete "Dirty" und Abgestürzte kam, aber anders. Ruhig, nicht laut. Schrimm hat es uns spüren lassen, war authentisch, hat über seinen Körper gewirkt, hat uns nichts aufgedrängt. Dazu Cendra Polsners Videoeinspielung einer Waffe, denn es ging um Gewalt, erst in der Zeitschrift, dann als Hirngespinst. Man kann jederzeit den Kopf verlieren, den Bezug zur Realität. Danke, Thomas Schrimm für Bukowski – beim Friseur.
Der Nächste!
und ich ging rüber zum Stuhl
und mein Kopf saß noch drauf
und sein Kopf sagte zu meinem Kopf,
Wie möchtens Sie´s denn? und ich sagte,
Na so mittel ...
(Auszug aus "Der Große mit dem Säbel)
Das Stadtheater wird sich dem Poetry Slam weiter widmen. Mit Pauline Füg und Thomas Heyel findet am 7. Dezember ein U20-Workshop statt (ab 14 Uhr, im Jungen Theater). Die Literaturtage 2013 werden weitere Poetry Slams und Workshops anbieten.
Finale - die Fliege gratuliert ...
Julius - Singer-Songwriter aus Hannover