Dienstag, 06 September 2016 14:10

InGOLDcity – Was Ingolstadt zum Glänzen bringt | Stadtplanerin und Bloggerin Julia Seiler

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Julia Seiler aufkleber 348Ingolstadt | Kreativität ist Teil des Alltags. Doch für nicht Wenige ist, auch in Ingolstadt, Kreativität Arbeitsgrundlage und Einnahmequelle. Städte wie Regensburg, selbst Metropolen wie München, bemühen sich aktiv um die Kreativschaffenden, stärken bewusst die kreativen Branchen* und betreiben so gezielte Standort- und Imageförderung. Ingolstadts Kultur- und Kreativwirtschaft soll am 27. September im Mittelpunkt stehen. „Sichtweisen ändern, Potenziale nutzen.“ - damit appelliert die Wirtschaftsförderung der Stadt (IFG) sowohl an die Kreativen selbst als auch an Politik und Verwaltung und lädt zum Austausch ein. Auch Oberbürgermeister Dr. Lösel wird teilnehmen und er stellt sich damit nicht zuletzt der aktuellen Diskussion um mehr Wertschätzung für Kulturschaffende und Kreative in Ingolstadt.

Julia Seiler, 28, gehört zu den jungen Kreativen, um die es an diesem Tag gehen wird. Sie ist Stadtplanerin, Bloggerin und sie hält beim Ingolstädter Kreativwirtschaftstag den Impulsvortrag „InGOLDcity – Was die Stadt Ingolstadt zum Glänzen bringt“. Die Ingolstädterin arbeitet, nach Studium in Stuttgart, im Stadtplanungsreferat München, wohnt und lebt nach wie vor hier. Unter www.stadtraumleben.de bloggt sie zu Themen rund um Stadt und städtisches Leben, über mehr oder weniger gut gebaute Orte für Menschen und über Veränderungsprozesse, Lifestyle, Zeitgeist. Es geht ihr um öffentlichen Raum, um Kultur und Subkultur, um Möglichkeitsräume für Offenheit und Vielfalt. Und es geht ihr ganz konkret um Ingolstadt - attraktiv(er) für Kreative. K10 hatte sie im Mai bereits vorgestellt unter Nischenkultur und Kreativwirtschaft in InGOLDcity. Das Interview mit Julia Seiler führte Petra Kleine in der Rosengasse 2.

K10 | Warum stellen sie die Frage, wie man Ingolstadt zum Glänzen bringen kann? Glänzt eine wirtschaftlich starke Stadt nicht schon von selbst?

Julia Seiler | Ich bin ja in Ingolstadt geboren und aufgewachsen und da habe ich im eigenen Freundeskreis viel Unzufriedenheit gespürt, gerade in meiner Generation. Es gab immer diesen deutlich spürbaren Unmut der Jungen, so dass ich dem schließlich nachgehen wollte. Ich habe die Struktur von Ingolstadt mit meinem fachlichen Hintergrund aus der Stadtplanung gezielt untersucht. Wie sind die aktuellen Gegebenheiten vor Ort, warum wirkt die Stadt für junge Leute so unattraktiv, insbesondere für solche, die, wie ich, im Bereich der Kultur, Kunst, Kreativwirtschaft unterwegs sind. Dabei hat sich gezeigt, dass Ingolstadt gerade bei Leuten zwischen etwa 16 und 30 kein gutes Image hat. Man verbindet die Stadt in erster Linie mit Audi, sie wird überwiegend als Technikerstadt wahrgenommen. Audi ist ein großer und ausschlaggebender Standortfaktor, aber das soll eben nicht alles sein, es gibt noch eine Stadt um das Audi-Werk herum. Und da fehlt einfach vieles, was eine Stadt - gerade für junge Erwachsene - lebenswert und attraktiv macht. Es fehlt eine breite kreative Szene und eine kulturelle Vielfalt. Es fehlt übrigens auch an einer lebendigen Bar- und Clubkultur, an einer Vielfalt auch im Nachtleben. Es fehlt an Offenheit und Vielfalt und an Freiräumen dafür.

Ingolstadt sei perfekt für Leute ab 40 Jahren, das war ja auch ein Ergebnis der Stadtentwicklungsplanung zu WOHNEN 2025. Das bestätigt einerseits ihre Aussagen. Andererseits zeichnet dies natürlich ein eher betrübliches Bild der Stadt, in der wir leben …

Ja genau! Und das hat mich gerade als Ingolstädterin immer geärgert, doch vor allem es hat mich immer sehr beschäftigt, warum das so ist. Es ist ja die Stadt in der ich (immer noch) wohne und lebe und ich fand es immer schade, dass Leute, die von außerhalb herkamen, das so unattraktiv erlebten, dass Zugezogene hier nicht so gerne leben, dass ihnen etwas fehlt, dass unsere Studenten am Wochenende dann eben woanders hinfahren. Und es ging mir ja genauso. Erst wenn man den Vergleich mit anderen Städten zieht, kann man verstehen, was gemeint ist. Nachdem ich dies dann über ein halbes Jahr gezielt und intensiv fachlich untersucht habe, konnte ich konkret und aus Sicht der Stadtentwicklung definieren, was hier eben tatsächlich fehlt, um als Stadt für gut qualifizierte Leute und für Kreativschaffende wirklich attraktiv zu sein. Das ist auch wichtig für die Unternehmen der Kreativwirtschaft vor Ort, die kreative Fachkräfte brauchen und halten wollen.

In ihrem Blog befassen sie sich unter InGOLDcity I – VIII auch ausführlich auch mit den Möglichkeiten, die Attraktivität und das Image Ingolstadts und speziell die Kreativwirtschaft zu stärken. Was wäre zu tun?

Ein Phänomen von Ingolstadt ist, es kommt alles immer etwas später als andernorts. Das muss man wissen. Ein wenig hat sich in den letzten Jahren ja schon getan, denn es gibt ja Kreative, die hier in der Stadt etwas machen oder anschieben, auch im Sinne der Standortentwicklung. Wichtig sind Netzwerke, über die die Kreativwirtschaft sich selbst zeigt, sichtbar wird, die die Ideen einer kreativen Stadt thematisieren - etwa die Freunde der Donau, kurator.in, die Szene um das ehemalige Maki, das Taktraumfestival, neu das KAP94. Es müsste mehr darum gehen, Wissen, Bewusstsein und Akzeptanz dafür zu schaffen, was hier bereits entstanden ist. Wichtig wäre, sich auch von Seiten der Planung, Politik und Verwaltung auf diese Szene einzulassen, sich mit ihrer Denkweise auseinanderzusetzen, verstehen zu wollen, wie deren Produktionsprozesse ablaufen. Dabei brauchen sowohl Kreativszene als auch –wirtschaft den Freiraum, um ihrer Eigenlogik zu folgen und ihrer Dynamik freien Lauf zu lassen. Nur so kann Kultur- und Kreativwirtschaft Impulsgeber für andere Sektoren in der Stadt werden. Drängt man sie in die Nische der Innovationsbringer und Imageverbesserer, die möglichst zügig ihre Ausstrahlungskraft entfalten sollen, wandert sie ab oder wird im Keim erstickt. Interesse, Freiräume und Geduld sind wichtig.

Wird das neue digitale Gründerzentrum denn geeignet sein die Kreativwirtschaft in diesem Sinne zu entwickeln? Das wird ja so dargestellt.

In Ingolstadt dominiert, so die Strukturdaten, die digitale Kreativwirtschaft. Diese macht etwa zwei Drittel des Branchenumsatzes aus. Man müsste also im neuen Gründerzentrum eine Nutzungsmischung schaffen und Räume öffnen, in denen man – sich - ausprobieren und in denen man - auch wirtschaftlich - scheitern kann. Das bedeutet man müsste bewusst Kontrolle über Räume abgeben und loslassen - wenn solche Freiräume im neuen Gründerzentrum vorgesehen wären, wäre das gut.

Private Initiativen wie ehemals im Körnermagazin oder aktuell die neue Kulturwerkstatt KAP94 zeigen doch, dass das auch in Ingolstadt funktionieren kann und wie viel Potenzial in unserer Kulturszene steckt. Selbst in den Leerständen oder in den historischen Festungsanlagen zeigt sich noch viel Entwicklungsmöglichkeit. Das könnte man gezielter unterstützen und so mehr freie Räume zur kreativen Nutzung öffnen.

Auch die Rosengasse 2 (hier findet das Gespräch statt, Anm.) ist so ein idealer Ort: hier treffen sich die Rentner ebenso wie Jugendliche oder Künstler, jeder ist willkommen, man kann unter sich bleiben oder sich austauschen. So entsteht Vielfalt und Offenheit und ein lebendiger, urbaner Ort. Das tut der Stadt gut.

Bei ihrem Impulsvortrag und der anschließenden Diskussion werden auch Entscheider aus Verwaltung und Politik anwesend sein, die haben es gerne kurz, knackig und konkret …

1. Ingolstadt wird vor allem als Technikstadt gesehen und entwickelt. Es gibt keine städtische Vision in der die Kreativen einen Platz haben. Wir brauchen ein neues Profil von Ingolstadt, in dem die Kultur und die Kreativwirtschaft eine Rolle spielen. 2. Die vielen, verschiedenen Akteure aus Szene, Verwaltung, Wirtschaft, Politik, Bürgerschaft sollten sich regelmäßig an einen runden Tisch setzen und sich austauschen, sich dabei vor allem für die Belange der Kreativschaffenden öffnen. 3. Wichtig wäre ein Gelenk, das zwischen Kreativen und Verwaltung/Politik vermittelt, eine Anlaufstelle wie etwa in Regensburg, die vernetzt und unterstützt, eine Kontaktperson, die die Szene und Kreativwirtschaft kennt, die um kreativen Prozesse weiß, die gegenüber der Verwaltung und vor allem bei den Kulturschaffenden und Kreativen ein gutes Standing hat.

Oder noch kürzer: 1. Wollen. 2. Einfach machen.

Herzlichen Dank für das Gespräch. Wir sehen uns beim Tag der Kreativwirtschaft am 27. September in der Halle neun!

*Kurzinfo Kreativwirtschaft IN | Zwischen 300 - 400 Mio. Euro Umsatz im Jahr liegt der wirtschaftliche Wert der kreativen Branchen in Ingolstadt und ist dabei eher monostrukturiert. Die digitale Wirtschaft mit Softwareindustrie ist mit mehr als 200 Mio. Umsatz dominant, gefolgt vom Verlagswesen mit etwa 50 Mio. (2013). Wirtschaftlich stark zeigen sich danach die Architekturbüros, Fotografen sowie Design- und Werbeagenturen. Die zahlenmäßig größte Gruppe sind die Künstlerinnen und Künstler, die jedoch eine vergleichsweise wertschöpfungsschwache Gruppe darstellen. Hier ließe sich besser fördern und gezielt unterstützen, so eine der fachlichen Empfehlung für Ingolstadt (aus: Kurzportrait Kultur- und Kreativwirtschaft, 2015, © M. Söndermann). Zur Kultur- und Kreativwirtschaft gehören die elf Branchen bzw. Teilmärkte: Architektur, Buch, Designwirtschaft, Film, Kunst, Darstellende Künste, Musik, Presse, Rundfunk, Software-/Games-Industrie, Werbemarkt.

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Kreativwirtschaftstag in Ingolstadt

Perspektivwechsel! Sichtweisen ändern, Potenziale nutzen
Dienstag, 27. Sept. 2019 im Kulturzentrum „neun“, Elisabethstr. 9a, Ingolstadt.

15 Uhr - 21 Uhr. Anmeldung möglichst bis zum 16.09.2016 über https://www.xing-events.com/KuK Eintritt und Teilnahme frei. Veranstalter ist die IFG Ingolstadt. 

PROGRAMM

Impulsvorträge

„InGOLDcity – Was die Stadt Ingolstadt zum Glänzen bringt“ | Julia Seiler, Master of Engineering, Stadtplanerin, Referat für Stadtplanung und Bauordnung Landeshauptstadt München

Wenn Gegensätze sich erfolgreich anziehen – Zusammenarbeit von Stadtverwaltung und KuK in Regensburg" | Sebastian Knopp, Clustermanager Kultur- und Kreativwirtschaft, Stadt Regensburg

Podiumsdiskussion mit Dr. Christian Lösel - OB Stadt Ingolstadt | Norbert Forster - IFG Ingolstadt | Sebastian Knopp - Clustermanager Kultur- und Kreativwirtschaft Stadt Regensburg | Julia Seiler – Stadtplanerin, Referat für Stadtplanung und Bauordnung München | Sigrid Diewald – Agentur schnellervorlauf Ingolstadt, Fachbeirat Kultur- und Kreativwirtschaft Bayern | Dr. Andrea Niedzela-Schmutte - Leiterin Referat Kultur- und Kreativwirtschaft, Design im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie

Denkfabriken | Austausch, Ideen und Visionen

Denkfabrik A | „Vernetzung KuK mit Wirtschaftsförderung und Verwaltung“ | Leitung: Sebastian Knopp

Denkfabrik B | KuK als Standortfaktor oder: Wie kann Kuk bei der Standortentwicklung aktiv werden? | Leitung: Julia Seiler

Denkfabrik C | KuK in Ingolstadt in 5 Jahren – Ziele, Wünsche und Visionen | Leitung: Sigrid Diewald

 

 

stadtraumleben trafokasten 740

 

 

 

 

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