Dienstag, 18 Dezember 2018 14:51

Der Wind, das Licht – ECM und das Bild | Cover Art des Musiklabels ECM | Kunstverein Ingolstadt

von

ECM web 348Ingolstadt | Noch bis Ende Januar zeigt der Kunstverein Ingolstadt die Ausstellung "Der Wind, das Licht – ECM und das Bild" zur CoverArt des Münchner Musiklabels ECM Edition of Contemporary Music. Hubert P. Klotzeck, Kunstvereins-Vorsitzender und Kurator der Ausstellung war in den ECM-Archiven unterwegs und hat uns viele Originale daraus nach Ingolstadt geholt.

Musik ist etwas sehr Persönliches. Nachts im Studentenwohnheim, allein mit der Musik, dem Saxophon von Jan Gabarek, das schwarze Vinyl dreht sich auf dem Plattenteller und auf dem Bett liegt das Cover, mit der  Fotografie einer verwitterten, gelblichen Mauer.  Es ist anders als andere Plattencover – eher zurückhaltend, weniger grell, weniger aufdringlich, weniger laut. Solche persönlichen Erinnerungen, wie diese aus den 80er Jahren von Eröffnungsredner Dr. Andreas Hochholzer, tauchen mit der aktuellen Ausstellung des Ingolstädter Kunstvereins auf. „Der Wind, das Licht. ECM und das Bild". Die Ausstellung ist eine Hommage an den Münchner Musikverlag ECM - Edition of Contemporary Musik. Sie eine Liebeserklärung an die Musik und die Bilderwelt dieses Labels und nicht zuletzt: eine Ausstellung zu Cover Art, zu Fotografie, Malerei und angewandter Kunst auf Plattenhüllen und CDs.

Das Label ECM wurde 1969 von Manfred Eicher gegründet und hat sich seither dem Jazz und der zeitgenössischen Klassik verschrieben. Als ein von Musikern geführter Plattenverlag legte ECM großen Wert auf Werktreue, weniger auf kommerzielle Trends und setzte mit seinen sorgfältigen Aufnahmen neue Maßstäbe in der Plattenproduktion. „Mein Kompass ist: ich möchte hinter dem was ich höre, etwas Persönliches hören. Die persönliche Aussage, die die Person die sie spielt mit der Musik zum Ausdruck bringt.“ beschreibt Manfred Eicher selbst seinen Maßstab.

348 ECM Das Plakat 348ECM ist weltweit einer der führenden Verlage in diesem Genre des Musik-Markts. Das Cover, das Bild der Platten- und CD-Hüllen, das Design, waren von Anfang an ein untrennbarer Bestandteil der Musikproduktionen. Die intensive Zusammenarbeit Eichers mit den Gestaltern prägte den ECM- Stil. Sie schufen eine eigene Bilderwelt, die einen untrennbaren Dialog zwischen Bild und Musik eröffnete. Anhand ausgewählter Beispiele und der Präsentation der bisher veröffentlichten Album-Cover wird in der Ausstellung diese Bildwelt von ECM vorgestellt. Dazu werden die Bezüge zu Fotografie, Malerei und Film gezeigt, mit vielen Originalen aus dem ECM-Universum und immer mit Bezuf auf die CD oder Platte.

Kurator Hubert P. Klotzeck ist Fotograf, Galerist („Bildfläche“ in Eichstätt) und Teil des Elektronik-Klang-Duos Hotzeck. Für ihn ist ECM nicht irgendein, sondern der Musikverlag. Er bekam durch die zufällige Wiederbegegnung mit Nicola Kremer, einer Jugendfreundin und inzwischen im Management von ECM, die Chance in die Archive des berühmten Münchner Musikverlags gehen zu können. Originalplakate seit 1969, die Kunstwerke und die originalen Photografien, die Bestandteile der Booklets und Cover geworden waren, Portraitaufnahmen weltbekannter Musikerinnen und Musiker in Livekonzerten, Backstage oder im Tonstudio. Klotzeck konzipierte die Ausstellung, eigens für Ingolstadt. 350 Stunden Arbeit waren das, so Klotzeck, von der Planung bis zur Umsetzung, gemeinsam mit Ehrenamtlichen des Kunstvereins. Passgenau für die Jazz-IN-Stadt, das Ingolstadt der Jazztage, bei denen in den letzten Jahrzehnten so viele der weltbekannten ECM-Künstler live zu sehen waren. Wow!

„Da muss ich doch gleichmal suchen, ob auch meine erste Jazz-Platte dabei ist…“. Dieser Gedanke liegt nahe und war vielfach bei der Vernissage zu hören. Die Ausstellung ist so auch eine persönliche Erinnerungs-Reise für die, die sich mit Musik, speziell mit der von ECM, verbunden fühlen. Das Wiedersehen mit Platten, Musikern, Konzerterlebnissen, Emotionen ist ein wesentlicher Teil dieser vielschichtigen Ausstellung. Alles läuft dabei auf die Wand zu bzw. auf ein wandfüllendes Mosaik, in dem Musik, Bilder, Erinnerungen gespeichert sind – 1376 Cover, fast 50 Jahre ECM, chronologisch angeordnet. Und sogleich beginnt eine zweite Suche: Gibt es einen Stil, erkennt man eine Epoche, einen Zeitgeist, gibt es eine Entwicklung, verändert sich die Typografie …?

Das Cover. Die Stille vor der Musik

Die Musik wird bei der Produktion zunächst normiert und auf ein für alle Musik festgelegtes Tonträger-Format gebannt. Jede Scheibe sieht gleich aus, sie unterscheiden sich voneinander zunächst durch die Verpackung, die Hülle mit Bild und Schrift. Das Cover. Das Cover ist die Stille vor der Musik.  „Es ist die – noch – ungehörte Musik, so etwas wie ein Andachtsbild, bevor die Musik anhebt, bevor das Eigentliche beginnt.“ Dr. Andreas Hochholzer (ganzer Text s.u. oder Anhang zum Download) lenkte bei der Vernissage den Blick auf diese kleine, normierte Fläche – 31,5 cm2 für die Platte oder 120 mm2 bei der CD – auf der Design und Kunst zusammenkommen. Coverdesign hat sich so längst zu einer eigenständigen Kunstform entwickelt, manche Plattencover sind geradezu legendär geworden. ECM-Produzent Eicher hat bei der Gestaltung seiner Cover jene eigene Ästhetik entwickelt, die seither auch integraler Bestandteil der Musik geworden ist. Die Ausstellung zeigt dies, sie zeigt originale Kunstwerke und die Artwork bis hin zum fertigen Cover. Und sie gibt auch Hinweise auf die Verbindungen zum Film und die musikalische Entwicklung bei ECM.

 

348 ecm PetraKleine 348Selbst habe ich an der Wand natürlich auch eine meiner ersten ECM-Platten gefunden und wieder einmal hervorgeholt: Eberhard Weber, COLOURS, ecm 1186, 1980. Das Coverbild zeigt das Foto einer Malerei. Eine wunderbare, nackte Frau auf dem Sofa, entspannt und auf etwas in der Ferne (oder Tiefe) gerichtet. Dazu eine Katze, ein Rabe, eine großblumige Topfpflanze. Hintergrund ist eine naturbraune Kartonage im Öko-Raw-Design der 80er Jahre. Fast ein wenig anders als der sonst eher klare, minimalistische ECM-Stil. Ich höre also mal wieder in die Musik hinein und gehe dieses Mal auch ihrer Verbindung mit genau diesem Bild nach.
 

Kunstverein Ingolstadt, Theatergalerie, noch bis 27. Januar geöffnet. Fr bis So und an Feiertagen von 12 bis 18 Uhr.

www.kunstverein-ingolstadt.de

 

Fotos | © Petra Kleine | K10

 

 

 

Bilder der Ausstellungseröffnung
(zum Vergrößern darauf klicken)

 

Der Text | Einführungsrede von Dr. Andreas Hochholzer zur Ausstellung

„Der Wind, das Licht – ECM und das Bild“
Ausstellung im Kunstverein Ingolstadt e.V. | 3.11.2018 - 27.01.2019


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Besucher der Ausstellung „Der
Wind, das Licht – ECM und das Bild“ hier im Kunstverein Ingolstadt, herzlich
willkommen.

Ich weiß nicht, wie weit Sie in Ihrer eigenen Vergangenheit zurückgehen
müssen, um dort zu sein, wo Sie Ihre erste ECM-Veröffentlichung gehört
haben… Monate, Jahre, Jahrzehnte?

Bei mir liegt es jedenfalls einige Jahrzehnte zurück: Anfang der 80er Jahre,
in einem Studentenwohnheim, ein wenig außerhalb von Eichstätt gelegen,
in einem Zimmer mit 14 qm, mit weißen Resopalmöbeln, bestehend aus
Schrank, Bett und Schreibtisch; der Boden mit grauem Nadelfilz ausgelegt,
ein Fenster mit Blick auf Buchen, Kastanien, Ahorn und Fichten, dazu
Duftschwaden von Räucherstäbchen aus Sandelholz. Und dort drehte sich
die schwarze Scheibe, und die Einsteckhülle und das Cover lagen auf dem
Bett und ich griff danach und ich konnte mir keinen Reim aus dem Titel
machen und noch weniger, was das Coverbild meinte, und so hielt ich mich
an die namentlich aufgeführten Musiker und die Zeitangaben der einzelnen
Stücke. Der Titel der Schallplatte lautete „Witchi-Tai-To“ und auf dem Foto
konnte man eine schadhafte sandsteingelbliche Mauerstelle sehen, wie sie
im vorsanierten und vorrestaurierten Deutschland an vielen Gebäuden zu
finden war, wenn nicht das milde Licht auf ein ferneres Land verwiesen
hätte. Wie gesagt, man kannte marodes, angeschrammtes Mauerwerk,
allerdings nicht auf einem Cover einer Schallplatte.

Irgendwie unterschied sich dieses Cover von den anderen mir geläufigen,
das Sujet war ein anderes, die Farbigkeit war eine andere, die Schrift war
viel kleiner. Es fehlte alles Grelle, Aufdringliche, Laute, und dieses Fehlen
war kein Mangel, sondern eine andere Sprache und ein Anspruch und ein
Geschenk für den Plattenbesitzer, und das setzte sich fort in den anderen
Schallplatten, die ich nach und nach in die Hände nahm:
Return To Forever (1022)
Belonging (1050)
Clouds In My Head (1059)
Dansere (1075)
Staircase (1090/1091)
Watercolors (1097)

So fing das damals bei mir an, und wie war es bei Ihnen?
Gibt es bei Ihnen auch so etwas wie den Beginn dieser Leidenschaft, einer
Leidenschaft zum „vollkommenste(n) Typus der Kunst…, (die) nie ihr letztes
Geheimnis verrät“, wie es Oscar Wilde ausdrückte, eine Leidenschaft also
zur Musik? Freilich, liebe Besucher, über Musik können wir an dieser Stelle –
und das bedauere ich – nicht sprechen, wenigstens nicht unmittelbar.
Wir können auch nicht über die Öffnung in alle möglichen musikalischen
Richtungen sprechen, die in den ECM-Aufnahmen geschehen ist und
immer noch geschieht. Genregrenzen gibt es keine mehr und die
Ausweitung in alle Tongebiete gleicht Apolloreisen ins Unbekannte und
Unbenannte und Ungehörte.

Wir können auch nicht über all die grandiosen Musiker, Komponisten und
Sänger, die den musikalischen Kosmos der ECM-Veröffentlichungen
bevölkern, sprechen. Was haben diese Künstler an Eigenem,
Unverwechselbarem, Ungehörtem da hineingelegt, ihr Suchen in Geduld
und Ungeduld, die Rückbesinnungen und Brüche, die Wechsel der
Perspektive, die Störungsfälle und Befreiungen, die Erweiterungen der
phonetischen Systeme.

Dass diese Musik „…Sterne schmelzen…“ lässt, wie es Gustave Flaubert
ausdrückt, auch davon können wir hier nicht reden.
Wir können auch nicht über all die Künstler sprechen, die Fotografen und
Maler, die die Vorlagen zu den Covern lieferten, auch nicht über die
Designer und Layouter, die jedes Cover unverwechselbar und einmalig und
einer eigenen Diktion und Präferenz folgend komponierten. Aber Sie
haben heute die Möglichkeit, manche der Vorlagen zu sehen und
beispielhaft den Ursprung und das Entstehen einiger Cover
nachzuvollziehen.

Wir können auch nicht über Manfred Eicher sprechen, über seine Motive
und seine Mission einer sehr eigenen Auffassung von der „ästhetischen
Erziehung des Menschengeschlechts“ – was jetzt für manche Ohren etwas
antiquiert klingen mag.

Darüber also können wir nicht sprechen, aus Zeitgründen und weil drei bis
vier Sätze völlig unangemessen wären und weil wir uns zwischen 1378
Covern irgendwie bewegen müssen, und das ist nicht so leicht.

Diskographik, Album, Cover-Art
Was ich in der Hand halte

Beginnen wir damit, was und wie wir das, worum es gehen soll, in die Hand
nehmen, eine CD mit einer durchsichtigen Zellophanhülle. Wir halten sie in
der Hand, wenden sie und inspizieren die Rückseite, dann öffnen wir die
Verpackung – denn das ist es ja letztlich, womit wir es zu tun haben, eine
Verpackung für etwas anderes –, wir schieben das CD-Case aus dem
Schuber, ziehen das Booklet heraus und lesen darin aufmerksam oder
flüchtig wie in einer Speisekarte, verweilen dabei oder legen behänd das
Heftchen zurück in den Plastikumschlag. Dann legen wir die CD in den
Player und das Eigentliche hebt an…

Schallplattenhüllen, CD-Cases sind funktional betrachtet Verpackung,
Hüllen zur sicheren Aufbewahrung, damit etwas nicht verloren geht,
beschädigt wird, damit sicher ist, was geschützt werden soll.
Geht darin die funktionale Seite dieses Gegenstandes auf? Materiell
gleicht eine Schallplatte der anderen, eine CD anderen Milliarden von CDs.
Das, worin sie sich unterscheiden, sieht man nicht mit bloßen Augen, ist
nicht lesbar. So wird der Unterschied sichtbar gemacht im Layout, in der
Gestaltung des Covers, in der Nennung der Künstler, des Albumtitels, im
Booklet-Design.

Stöbern wir ein wenig in den ECM-Veröffentlichungen, sehen wir uns die
Fotografien an.

Wir sehen ein Cover mit dem Titel „Goodbye“ (1904): eine von Lichtflecken
durchwirkte Wasserfläche, in der Blätter schwimmen; dann ein Bild eines
schwer auszumachenden entgegenkommenden Fahrzeugs, eines Zuges
vielleicht, die Lichter unscharf, so als würde uns ein lichtspeiendes Untier
anspringen wollen, der Titel „Dark Eyes“ (2115); dann ein Cover mit zwei
Männern, einem jüngeren und älteren Künstler am Piano, die CD trägt den
Titel „The Third Man“ (2020). Dann ein Kind mit Mütze, das aus dem
Busfenster in die Kamera blickt, das Album heißt „Open Land“ (1683); dann
ein Cover mit einer grün-gelblichen Fläche, wie von Gotthard Graupners
„Farbraumkörpern“ entlehnt, „City of Brocken Dreams“ (2274); dann einen
Mond hinter zerfetzen Wolken, davor unscharf Laubbäume im Herbstgold,
das Album trägt den Titel „The Gift“ (2322); und dann eine CD mit dem Titel
„The Light“ (2056), aber dort ist kein Licht, sondern nur eine unscharfe
Horizontlinie im nächtlichen Blauschwarz. Wir sehen auf dem Album „The
seven Words“ (1756) einen im Meer treibenden Eisberg, eingetaucht in ein
endzeitrötliches Licht. Wir sehen ein in Sackleinen eingehülltes Kreuz, von
einem Indio auf dem Rücken getragen, Kulturum (1638) heißt die
Veröffentlichung. Das Bugeisen einer venezianischen Gondel, im Wasser
spiegelt sich ein Gebäude der Lagunenstadt, „La Fenice“ (2601)… Und wir
sehen tatsächlich und wirklich nur ein einziges Mal einen Blumenstrauß –
auf der CD „The Melody, At Night, With You“ (1675), einen Blumenstrauß in
schwarz-weiß in einer Vase, aber eigentlich nur seinen Schatten, und mehr
gibt es nicht.

Wir sehen – um allgemeiner zu sprechen – Personen, Künstler,
Naturaufnahmen, Stadtlandschaften, Wolken, Wasser, Wege und Straßen,
Abstraktes und Gegenständliches, Unscharfes, Verschwommenes,
Kontrastreiches, Detailaufnahmen und Grafiken. Wir sehen gänzlich
monochrome Cover mit klarer Typografie, streng zentriert oder
symmetrisch angeordnet, wir sehen eine Bilderwelt, mannigfaltig,
vielgestaltig und unverwechselbar. Lässt sich dabei eine Konstante in den
Covern finden? Gibt es ein Ostinato in der Bilderwelt der ECMVeröffentlichung?
Was meinen Sie?

Schwarzkunst

Bei aller Vielfalt und scheinbaren Leitmotivlosigkeit der Cover erkennen Sie
wie ich zumindest eine Dominanz: eine Neigung zur Farbe Schwarz, die ja
keine Farbe ist. So als ob die 31,5 cm x 31,5 cm, so die Maße eines
Schallplattenhülle, oder die 120 mm x 120 mm einer CD auf den von
Kasimir Malewitsch geprägten Namen „schwarzes Quadrat“ getauft worden
wären. Vielleicht kennen ja einige von Ihnen dieses berühmte Bild von ihm.
Ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund. Am Rande: Bemerkenswert ist
dessen Genese, verdankt sich doch das „Schwarze Quadrat“ der 1913
entstandenen futuristische Oper „Sieg über die Sonne“, für die es gemalt
wurde. Malewitsch selbst meint dazu, dieses Bild sei „die nackte,
ungerahmte Ikone meiner Zeit…, in ihm sehe ich das, was die Menschen
einstmals im Angesicht des Gottes sahen…“ (zit. nach A. H., Lichtkunst/
Kunstlicht – nach dem Tod der Sonne, S. 53, in: Theologie und Glaube,
1/2015, 105. Jg.).
Ich will hier nur festhalten, dass es eine ursprüngliche Relation zwischen
schwarzem Quadrat und Musik gibt.

Cover – Bild – Text – Musik – Relationen

Das Bild ist kein Text und das Bild ist auch nicht Ton. Alles wird vom Messer
des Verstandes sauber getrennt, um es vermeintlich besser zu verstehen:
Musik, Lesen, Schauen…
Angewandt auf unser Thema:
Hat der Text des CD-Titels oder die Sprache des Bildes die Deutungshoheit
über das später oder gleichzeitig Gehörte in der Musik? Evozieren die
Fotos eine Stimmung, die dann in der gehörten Musik bestätigt wird?
Besteht eine Relation zwischen Cover-Art und der auf dem materiellen
Träger eingekapselten Musik? Ist das Cover die Fassade, eine Alice-Spiegel-
Tür zu diesem sonderbaren Raumzeitgebilde, das die Musik darstellt? Oder
ist es nur das Schlüsselloch dazu? Was meinen Sie?
Ich lasse die Fragen offen und verweise auf eine Vorstellung der
Pythagoreer, die vor mehr als 2000 Jahren die Auffassung vertraten, dass
der ganze Kosmos aus Harmonien bestünde und dass der sichtbare
Kosmos, die Erde, die Sonnen, die Plejaden, jedes Muttermal, alles
Gegenständliche also, uns nur deshalb sichtbar erscheinen, weil wir uns an
dessen Klang gewöhnt hätten und es deshalb nicht mehr h ö r e n
könnten. D.h. alle sichtbare Realität sei ungehörte Musik. Übertragen würde
das bedeuten, jedes Bild, jedes Cover ist Musik, aber keine für uns hörbare.
Wir können den geistesgeschichtlichen Befund, was Musik dem Menschen
war, ist und sein wird, hier nicht weiter ausführen, wir können hier dem
„Nada Brahma“, dem hinduistischen Postulat „Die Welt ist Klang“, hier nicht
weiter auf den Grund gehen. Aber hier findet sich eine Spur…, eine Spur,
der Sie folgen können.
Sloterdijk fragt in einem seiner Essays: Wo sind wir, wenn wir Musik hören?
Ich frage sie, wo sind Sie, wenn sie ein ECM-Cover in Händen halten? Und
ich versuche eine Antwort:
D A V O R, vor der Sternenschmelze, und da ist es sehr still.
Gelegentlich bescheinigt man dem ECM-Layout eine gewisse ästhetische
Kühle. Ich teile diese Auffassung nicht.
Vielmehr sehe ich in den Abbildungen eine ungewohnte Stille. Eine Ruhe,
die sich einstellt und die ich eben „Davor“ genannt habe. Es ist die „Stille
der Welt vor Bach“, so hat es Lars Gustafson einmal in einem Gedicht
formuliert. Diese Stille ist ungehörte Musik, sie erzeugt einen Raum, der die
Ohren öffnen kann. Sie ist das Gegenbild zum lautstarken Einstimmen
großer Orchester, bevor das Musikstück anhebt. Ich sage Gegenbild, ich
könnte auch sagen Andachtsbild. Bei aller Arbeit, Raffinesse,
gestalterischen Kraft und bei allem Kalkül, das hinter jedem einzelnen
Cover steckt, sage ich es nochmals, ein Andachtsbild für das, was das
schmerzloseste Glück vielleicht ist: nämlich die Musik.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Andreas Hochholzer

Gelesen 5334 mal